Land ohne Musik. So hat man Britannien polemisch gern genannt, weil sich zwischen Henry Purcell (gestorben 1697) und Benjamin Britten (geboren 1913) im durch die Kolonien gigantisch wachsenden Empire weltmusikalisch betrachtet so gar nichts klanglich Bedeutsames ereignet hat. England ist ein Land der Chöre, weniger der Orchester. Immerhin hat die BBC jahrzehntelang ihr für viele Länder vorbildliches kulturpolitisches Wirken erfüllt.
Doch so wie der Nimbus der „weltbesten“ Radioanstalt seit Langem schwindet, so passt es zum desolaten Lauf des vom Brexit geschüttelten Landes, wenn in der jüngsten BBC-Sparrunde die Verantwortlichen ungerührt verkünden, dass im 99. Jahr ihrer Existenz die bereits auf 20 Mitglieder reduzierten BBC Singers als einziger professioneller Chor im Vereinigten Königreich so schnell wie möglich – das heißt: in wenigen Monaten – abgeschafft werden sollen. Außerdem wird das Budget der noch fünf Rundfunkorchester um 20 Prozent gekürzt. Befürchtet wird in naher Zukunft die Fusionierung des BBC Symphony mit dem BBC Concert Orchestra.
Der Chor soll möglichst noch vor den von ihm bedeutsam mitgestalteten Proms im Juli verstummen, damit es dort keine Solidaritätsbekundungen gibt. Denn eine Online-Petition für die BBC Singers trägt bereits innerhalb von wenigen Tagen über 110.000 Unterschriften, zahllose prominente britische Musikschaffende haben ihre Empörung über diesen „kulturellen Vandalismus“ bekundet.
Ebenfalls gibt es einen offenen Brief sämtlicher BBC-Chefdirigenten, angeführt von Sakari Oramu und sogar mit der Unterschrift von Semyon Bychkov. Natürlich bleibt das in den vergangenen Jahren aufgeblähte Management, das meistenteils kein einziges Konzert der nun abzuwickelnden Sänger besucht hat, fast ungeschoren.
Das Ausland schaut hin
Für alle klassischen Musikschaffenden ist dieser Angriff ein weiterer Schlag für ihre Berufsausübung. Der Brexit hat die Gastier- und Einspringmöglichkeiten außerhalb Britanniens extrem eingeschränkt. Auch ist gerade wieder der Fall eines weltberühmten Künstlers öffentlich geworden, der kurzfristig Konzerte absagen musste, weil er nicht rechtzeitig ein englisches Auftrittsvisum bekommen hatte – es war der mit russischem Pass reisende Pianist Daniil Trifonov.
Vor kurzem hat das Arts Council, die großteils für Kultursubventionen zuständige Behörde, aggressive Streichungen verkündet, die zugunsten der Provinzen viele Institutionen in London ausbluten lassen. Die Zukunft der English National Opera, einem von nur fünf Opernhäusern landesweit, ist offen.
Natürlich werden diese Maßnahmen auch international mit Interesse beachtet. In Österreich wurde – ebenfalls wegen Budgetkürzungen –gerade das Rundfunkorchester des ORF, das einzige des Landes, zur Disposition gestellt. Am 23. März soll über dessen Zukunft entschieden werden. Auch der WDR-Intendant Tom Buhrow („Man wird ja noch fragen dürfen“) hat bereits im halböffentlichen Raum nachgedacht: „Die ARD unterhält 16 Ensembles – Orchester, Big Bands, Chöre. Etwa 2.000 Menschen, fast alle fest angestellt. Obwohl die zu den Besten ihrer Zunft gehören – wir können auch hier der Frage nicht ausweichen: Wollen die Beitragszahler das?“
Man wird nicht lange warten müssen, bis auch hierzulande die Diskussion wieder anhebt.