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Kultur Münchner „Tatort“

Joshua Kimmich und der Grantler des Grauens

Redakteur Feuilleton
Der bissige Hackl (Burghart Klaußner) wird abgeführt Der bissige Hackl (Burghart Klaußner) wird abgeführt
Der bissige Hackl (Burghart Klaußner) wird abgeführt
Quelle: BR/Tellux Film GmbH/Hendrik Heiden
Woher kommt die große Wut im Hasenbergl? Der neue Münchner „Tatort“ begleitet einen bissigen Wutbürger in den Untergrund. Burghart Klaußner ist Hackl. Und der Mittelfeldregisseur des FC Bayern darf auch ein paar Sätze aufsagen.

Eigentlich hatten die Eltern des Hackl es wahrscheinlich gut gemeint, dass sie ihren Bub damals irgendwann Anfang der Fünfziger nicht nur Johann, sondern auch Bonifaz taufen haben lassen. Bonifaz ist einer, das sagt jedenfalls das Lexikon jedem Namensträger voraus, der ein gutes Schicksal hat.

Dass sich dieses Taufversprechen beim Hackl eingelöst hätte, kann man so nicht sagen. Der Hackl hockt auf dem Trümmerberg seines Lebens und nimmt übel. Wie der altgewordene Seppl aus dem Hotzenplotz stakst er durch den „Tatort“, der seinen Namen trägt, und durchs Hasenbergl, was Münchens Marzahn ist.

Krachlederne, Karohemd, Sepplhut, eine Sehhilfe auf der Nase, die aus der Zeit vor der Erfindung der Gleitsichtgläser stammt. Ein Seppl, in den der böse Geist des Zauberers Petrosilius Zwackelmann gefahren ist.

Der Hackl ist ein Grantler, ein Wadenbeißer, der das mit dem Beißen wörtlich nimmt, ein Querulant, ein Störenfried, ein Neidhammel, ein Wutbürger. Und das Hasenbergl holt nicht unbedingt das Beste aus ihm heraus. Er kann die Welt nicht leiden, er kann sich selbst nicht leiden. Burghart Klaußner, ein Erz-Preuße mit einer bajuwarischen Sozialisation (seine Jugend verbrachte er in Gräfelfing), ist die Zeitbombe, die in Dagmar Gablers „Tatort“ tickt, den Katharina Bischoff inszeniert hat.

„Hackl“ ist natürlich mehr als Hackl, als die Geschichte des Untergehers, der mit Fischgekröse nach Kindern in Nachbars Garten wirft und sich am Ende in die Eingeweiden der Seelensilosiedlung im Münchner Norden flüchtet. Der Hackl ist nur der extreme Auswuchs einer Lebenshaltung, von der alle da in Feldmoching zumindest mal leicht angekränkelt sind.

Und die wie ein böser Zauber auch auf Leitmayr und Batic, die beiden hüftsteifen Grauköppe übergreift, die im Hasenbergl den Tod des Kiezschönlings Adam Moser aufklären sollen. Die Fluchtroute des Johann Bonifaz Hackl ist dabei sozusagen der Ariadnefaden eines Geschichtenlabyrinths zwischen klassischer Kriminalerzählung und Gesellschaftspanorama.

Tod durch Laserpointer

Der Adam, der hatte alles. Der sah gut aus, hatte ein satt knötterndes Motorradl, schlimme Hawaii-Hemden, eine schicke Freundin, einen von Zwanzigstöckern umstellten Bungalow. Er war charmant, fürsorglich. Er war zu gut für die neidische Welt vom Hasenbergl, die ihm beim Glücklichsein von den Balkonen ihrer Wohnwaben zusah. Was sie ausgiebig, aber auch außerordentlich ungern tat.

Und dann war er halt tot, der Adam Moser. Eben noch kurvte er glücklich herum, es war mitten in der Nacht, das Motorradl knötterte satt, dann brannte ihm ein illegaler Laserpointer die Netzhaut weg, der Adam drehte durch, das Motorradl fiel um. Keine Chance hatte der Adam. Selbst wenn er einen Helm gehabt hätte.

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Der Hackl ist natürlich gleich verdächtig. Weil er schon mal auf Passanten mit dem Luftgewehr schießt, den Leitmayr schon mal in die Hand gebissen hat, was man immer noch sieht, weil er den Batic Drecks-Jugo nennt und ihn mit Slobodan anredet, weil er schreit und schlägt. Als er dann irgendwann abgeführt wird, muss er als Verbissschutz eine Plastikhalskrause tragen, wie sie Hunde bekommen, wenn sie ihre Wunden nicht lecken sollen.

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Die Musik macht aus dem Hackl einen Bruder im Geiste vom Joker. Er wird von einem üblen Tinnitus gepeinigt, hat Absencen. Man hört, was er hört. Man ist in seinem Kopf. Sieht die enge Welt, den Untergrund, in den er verschwindet, weil ihm sonst nichts bleibt, wie er ihn sieht. Kein übler Kerl eigentlich. Aber hoffnungslos verdreht.

Mehr Geschichten als in Bogenhausen

„Hackl“ macht aus Hackl kein Monster, sondern das traurige Menetekel einer Stadtlandschaft, die Menschen nach Hacklschem Vorbild formt. Dass bis dahin für die zunehmend zickigen Kommissare in mehr als neunzig Fällen noch nie ein Mord im Hasenbergl aufzuklären war, ist eigentlich ein Skandal. Da liegen mehr Geschichten herum als in Bogenhausen oder Grünwald, da wo die Kommissare im Fernsehen besonders gern hingeschickt werden.

Aber sei’s drum. Bischoff und Gabler haben der Versuchung widerstanden, gleich alle Brennpunkte heimzusuchen und zumindest anzuerzählen. „Hackl“ bleibt konzentriert auf kein halbes Dutzend Figuren, folgt Hackls Kreuzweg in fabelhaften Bildern, packt sie in keine Ode auf einen Grantler. „Hackl“ ist eher eine Moritat. Tiefenscharf, voller Traurigkeit, nie erdenschwer, immer sprungbereit in die Ironie, seltsam lustig manchmal.

Der Fitness-Kenny (Joshua Kimmich) gibt Tipps
Der Fitness-Kenny (Joshua Kimmich) gibt Tipps
Quelle: BR/Tellux Film GmbH/Hendrik Heiden

Und dann gibt es im Hasenbergl natürlich noch den Kenny. Der darf in der Muckibude „Pump Up“ an der Kasse stehen und mixt giftig aussehende Waldmeister-Smoothies. Einen YouTube-Kanal hat der Kenny auch. Da gibt er Fitness-Tipps. Der Kalli, der bemerkenswert kluge Batic-Leitmayr-Assistent, findet den Kenny toll.

Vielleicht vier Sätze sagt der Kenny. Joshua Kimmich vom FC Bayern München ist Kenny. Und er kriegt seine Sätze sogar besser raus, als Berti Vogts damals die seinen („Gib dem Kaninchen eine Möhre extra. Es hat uns das Leben gerettet“). Das ist aber halt nicht schwer.

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