Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Kultur
  3. Pritzker-Preis für David Chipperfield: Ein Architekt und ein Gentleman

Kultur Nobelpreis der Baukunst

Ein Architekt und ein Gentleman

Freier Mitarbeiter im Feuilleton
DIstinguiert: Sir David Alan Chipperfield DIstinguiert: Sir David Alan Chipperfield
DIstinguiert: Sir David Alan Chipperfield
Quelle: AP
Die große Kunst des britischen Stararchitekten David Chipperfield liegt darin, sich bis zur Unkenntlichkeit zurückzunehmen, aber in diesem Understatement umso deutlicher zu machen, wer sich im jeweiligen Bau verwirklicht hat. Dafür hat er jetzt den Pritzker-Preis, den Nobelpreis für Architektur, bekommen.

„Selbstsicher, ohne überheblich zu sein.“ So wird der Architekt David Chipperfield von Tom Pritzker beschrieben, dem Vorsitzenden der Hyatt Foundation, die jährlich eine Auszeichnung verleiht, die als Nobelpreis der Architektur gilt: den Pritzker-Preis. Der 69-jährige Chipperfield hat ihn jetzt gewonnen. Im Lob auf den Preisträger schwingt freilich die rhetorische Kritik mit, dass in der Architektenzunft sich Selbstbewusstsein nur allzu oft mit Selbstüberschätzung paart.

Chipperfield gehört zu jenen Architekten, deren Name weit über die Branche hinaus bekannt ist. Jedoch zelebriert er sein Startum mit der Zurückhaltung eines englischen Gentlemans. Der er ist.

Chipperfield darf sich Commander des britischen Ritterordens nennen, er ist Mitglied der ehrwürdigen Royal Academy in London, 2010 wurde er von Queen Elizabeth II. in den Adelstand erhoben, und wenn er spricht, dann spricht Sir David Alan Chipperfield leise und distinguiert. Er klingt auch dann nicht arrogant, wenn er die Fähigkeiten, die Kreativität und die Intelligenz des eigenen Büros lobt.

Lesen Sie auch

Dieses Können hat es sogar mit Projekten ausgespielt, in denen keine Architektenhandschrift erkennbar ist, wo es keinen genialen eigenen Entwurf gibt, wo der Baukünstler fast völlig in den Hintergrund tritt. Als Berlins Neue Nationalgalerie nach jahrelanger Schließung und Sanierung wiedereröffnet wurde, musste man sich in hinterste Winkel führen lassen, um Chipperfield im Mies-van-der-Rohe-Bau zu sehen.

Hier eine freigelegte Betondecke, da eine zweckmäßige Garderobe. Die Bauaufgabe war delikat. Es galt eine Ikone der Moderne zu reparieren und dafür buchstäblich jeden Stein umzudrehen, zu nummerieren, zu katalogisieren, um ihn irgendwann so wieder einzusetzen, dass es aussieht, als sei nie etwas geschehen.

Es sei aber keine „Zeitverschwendung, unsere Fähigkeiten für einen derart heiklen Auftrag einzusetzen“, sagte Chipperfield. Die Expertise habe darin gelegen, „die Menschen dazu zu bringen, miteinander zu reden, um eine kluge Lösung zu finden“.

Im Sinne Friedrich August Stülers

Mit klugen Lösungen in geradezu babylonischem Gerede war David Chipperfield in Berlin schon früher aufgefallen. Mitten im nach der Wiedervereinigung tobenden Architekturstreit um das Für und Wider historischer Wiederaufbauten bekam er den Auftrag, das Neue Museum instand zu setzen. Eine Mammutaufgabe.

Nicht nur, weil das Haus seit Jahrzehnten als Ruine auf der Museumsinsel vor sich hin bröselte, sondern weil Chipperfield mit seiner kritischen Rekonstruktion einen Sonderweg versuchte, der die Reputation seines Namens für immer betonieren sollte. Während Stararchitekten jener Zeit gleich die komplette Museumsinsel zu einem Arsenal kontextloser Extravaganzen aufmöbeln wollten, konzentrierte sich Chipperfield ganz auf das halb verfallene Gemäuer.

Teils rekonstruierte er Räume und Innenausstattungen historisch eins zu eins, mauerte und schlemmte Ziegelwände, teils schöpfte er neu, modern, aber doch im Sinne Friedrich August Stülers, der das Haus Mitte des 19. Jahrhunderts im klassizistischen Stil der Neorenaissance gebaut hatte. Und diese kontrastierenden Teile wusste er diskret, doch selbstbewusst zu inszenieren.

David Chipperfields Neues Museum auf der Museumsinsel samt seines Anbaus
David Chipperfields Neues Museum auf der Museumsinsel samt seines Anbaus
Quelle: Martin U. K. Lengemann/WELT
Anzeige

Das ist vielleicht der Chipperfield-Stil, den Tom Pritzker als elegant und meisterhaft beschreibt, der alle „Trends konsequent vermeidet, um die Verbindungen von Tradition und Innovation gegenüberzustellen und zu bewahren“.

In Berlin hat Chipperfield mit dem Neuen Museum jedenfalls so viel Eindruck geschunden, dass er ein paar Jahre später mit der James-Simon-Galerie sogar einen Neubau auf die Museumsinsel setzen durfte und sein Büro wohl auch für den anstehenden Wiederaufbau von Schinkels Bauakademie in den Ring steigen dürfte, sobald der Wettbewerb in diesem Frühjahr ausgelobt wird.

Diesen Stil, sich bis zur Unkenntlichkeit zurückzunehmen, aber in diesem Understatement umso deutlicher zu machen, wer sich hier verwirklicht hat, kann man auch in Chipperfields Update der über zweieinhalb Jahrhunderte völlig verbauten Royal Academy wiederfinden. Mit dieser Entwurfslogik hat sein Büro jüngst auch den Wettbewerb für die Erweiterung des archäologischen Nationalmuseums in Athen gewonnen.

Der Tempelbau mitten an einer Verkehrsschneise darf seinen antikisierenden Look natürlich behalten und wieder entfalten, neue Räumlichkeiten baut Chipperfield in die Tiefe und für die Besucher einen offenen Garten. In Athen wird auch am 23. Mai auch die Verleihung des Pritzker-Preises stattfinden.

Für die Auszeichnung war Chipperfield lange gehandelt worden. Dass er ihn jetzt bekommt, ist dennoch etwas überraschend nach den letzten beiden Preisträgern. 2022 war Francis Kéré aus Burkina Faso ausgezeichnet worden. Die Pritzker-Jury hatte den afrikanischen Kontinent in den mehr als 40 Jahren der Preisvergabe vergessen und endlich nachgeholt zu würdigen, wie sehr sich afrikanische Architekten für soziales Bauen mit lokalen und umweltverträglich(er)en Mitteln einsetzen.

Warum nun hat David Chipperfield den Architekturnobelpreis bekommen? Alejandro Aravena, Preisträger von 2016 und Vorsitzender der Jury, erklärt es mit dem Nachhaltigkeitsgedanken, der den Entwürfen innewohne.

Strukturen schaffen, die Bestand haben

„Seine Bauten werden immer die Zeit überdauern, denn das oberste Ziel seiner Tätigkeit ist es, dem Allgemeinwohl zu dienen.“ Chipperfield kalkuliere die ökologischen und historischen Auswirkungen von Dauerhaftigkeit in seine Entwürfe ein, heißt es in der Begründung der Jury. Nachhaltig sei, nicht nur das Überflüssige zu eliminieren, sondern Strukturen zu schaffen, die physisch und kulturell Bestand haben.

Anzeige

Er jedenfalls nehme diese Auszeichnung als Ermutigung, seine Aufmerksamkeit nicht nur „auf die Substanz der Architektur und ihre Bedeutung“ zu richten, sagte David Chipperfield, sondern auch auf den Beitrag, den „wir als Architekten zur Bewältigung der existenziellen Herausforderungen des Klimawandels und der gesellschaftlichen Ungleichheit leisten können“. Dieser Verantwortung müsse man sich „mit Vision und Mut“ stellen.

Lesen Sie auch
Die Neue Nationalgalerie wird saniert
Wahrheit oder Hysterie

Da geraten Chipperfields Entwürfe für private Bauherren in den Blick. Denn sein Büro plant ja nicht nur per se für die Ewigkeit gedachte Kulturbauten (das Literaturarchiv in Marbach, das Kunsthaus Zürich, das West Bund Museum Shanghai), sondern auch Geschäftshäuser und Bürotürme weltweit.

In Hamburg etwa entsteht zurzeit der „Elbtower“, wie ein Segel wird er sich über die Elbbrücken erheben. Der Betrieb solle kein CO₂ freisetzen, verkündete der Investor. Für den Bau des mit 65 Stockwerken und 245 Metern Höhe dritthöchsten Hauses Deutschlands dürfte das wohl kaum gelten.

Mit solchen Projekten beweist David Chipperfield, dass er auch weithin sichtbare Architektur-Zeichen setzen und im „Stadtkontext“ weiterbauen will, wie es so schön heißt. Nachhaltigkeit erscheint da – verglichen mit dem Credo früherer Pritzker-Preisträger – aber vor allem als symbolische Qualität.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema

Themen