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  3. Propaganda für Russland? Prokojews „Krieg und Frieden“ in München

Kultur „Krieg und Frieden“

„Wir schmetterten den Feind in den Staub“

Freier Feuilletonmitarbeiter
Szene aus Dmitri Tcherniakovs Inszenierung von „Krieg und Frieden“ Szene aus Dmitri Tcherniakovs Inszenierung von „Krieg und Frieden“
Szene aus Dmitri Tcherniakovs Inszenierung von „Krieg und Frieden“
Quelle: W.Hoesl
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Ausgerechnet an Stalins 70. Todestag stellte Münchens Bayerische Staatsoper Sergej Prokofjews Propaganda-Oper „Krieg und Frieden“ zur Diskussion. Über allem wehte die ukrainische Flagge. Ein schwieriger, ein zwiespältiger Abend.

„Wir zeigen die Komplettfassung. Ich integriere sämtliche, noch in Moskauer Archiven schlummernde Partiturreste.“ Man konnte es fast als Drohung verstehen, was der russische Regisseur Dmitri Tcherniakov für seine Produktion von Prokofjews „Krieg und Frieden“ mit seinem Landsmann und Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski an der Bayerischen Staatsoper in München ankündigte.

Diese monströse Oper so brutal und großmäulig, so verloren und anmaßend, so propagandahohl und beziehungszart, ja, eben so ambivalent wie das 20. Jahrhundert. Ein nicht nur in Deutschland äußerst selten gespieltes, sowjetpopulistisch durchwirktes und trotzdem bei den damaligen Machthabern durchgefallenes Schmerzenskind.

14 Damen- und 45 teils episodische Herrenrollen sieht dieses ungekürzt mindestens viereinhalb Stunden dauernde Liebes- wie Schlachtenepos nach dem ausufernden, hier freilich trotzdem auf eine Inhaltsangabe plus Schlachtenlärm zurechtgestutzten Zeitpanorama-Roman von Leo Tolstoi vor.

Es ist vermutlich die monumentalste Oper der Musiktheatergeschichte, komponiert von einem dubiosen politischen Wendehals, dessen Frau und Librettistin wohl als KGB-Agentin auf ihn angesetzt war. 1941 wurde sie unter dem Eindruck des Einfalls der Deutschen begonnen. Als anfeuerndes Fanal, das den Sieg 1812 gegen Napoleon als gutes Orakel für den neuen Bonaparte Stalin deuten sollte. Bei Prokojiews Tod 1953 – er starb am selben Tag wie Josef Stalin – war das Opus immer noch nicht wirklich vollendet.

Und jetzt, ein Jahr nach dem Einmarsch der Russen in der Ukraine, kommt diese lange geplante, nun natürlich durch den Lauf der Weltendinge veränderte Produktion in München heraus. Exakt am 70. Todestag von Prokofjew und Stalin.

Der wird hier zum Finale scheinbar in der schmuddeligen Landsergestalt des gegen Napoleon siegreichen Marschalls Kutusow (überzeugend prollig: Dmitry Ulyanov) in der Säulenhalle des Moskauer Hauses der Gewerkschaften auf einer Art kommunistischem Katafalk zwischen Fahnen, Leninbibeln und Grünzeug zur letzten Ruhe gebettet. Dazu wird der superpatriotische Schlusschor „Wir schmetterten den Feind in den Staub. Ruhm der Heimat, der heiligen Heimat“ einigermaßen roh nur instrumental von einer Blaskapelle intoniert.

Wer spielt für wen? Szene aus „Krieg und Frieden“
Wer spielt für wen? Szene aus „Krieg und Frieden“
Quelle: W.Hoesl

Reicht das? Die Schlacht von Borodino als „vaterländische Wehrübung“? Ein denkwürdiger, eindrücklicher, irgendwie ratlos lassender Abend der Distanzierung und der Fragezeichen ist vorbei. Da steht nun ein russisches Team zum Verbeugen bereit (der Dirigent hat mit seiner Heimat vorerst gebrochen, der Regisseur war seit Kriegsbeginn nicht mehr dort). Das unglückliche Liebespaar Natascha (anrührend jung: Olga Kulchynska) und Andrej (anrührend ernst: Andrei Zhilikhovsky), sie Ukrainerin, er Moldauer, trägt jetzt T-Shirts mit dem ukrainischen Staatswappen. Deren Fahne weht auch über dem Staatsoperngiebel mit Apoll und den neun Musen. Und es schallt ihnen volltönender, völlig buhfreier Beifall entgegen. Nicht sehr lang, aber doch respektvoll.

„Krieg und Frieden“ wurde hier nicht einmal wirklich inszeniert. Man sah einem Placebo-Spiel zu, einem „als ob“, das sich als Theater auf dem Theater in seinen Anspielungen und kyrillischen Parteibanderolen wohl nur den zahlreich anwesenden Russen letztgültig erschloss. Aber gerade dieses Scheiternmüssen zeigt wieder einmal die Verletzlichkeit und die Wichtigkeit der Kunst, in der es oftmals kein Schwarz und Weiß, kein Gut und Böse gibt, die bisweilen nur Denkanstöße, Anregungen provozieren kann. Und das hat dieser erschöpfende Abend sicher erreicht.

Er entlarvt aber vor allem die mittelmäßige Machart von Prokofjews in den Fäden der Macht wie der Musikmoden gefangener Partitur wie unter einem Brennglas. Das ist nicht modern und auch kein sozialistischer Realismus. Da weht ein müder Ballwalzer als einzige Melodie und Erinnerung an Prokofjews großartige Ballette durch die 13 Bilder (das zehnte ist komplett gestrichen). Das riesige Figurentableau, welches mit einer Anrufung des Frühlings beginnt und in der totalen, wenn auch siegreichen Zerstörung und dem Tod vieler der Protagonisten endet, erweckt kein Mitleiden und keine Empathie.

Ergreifende Sängerleistungen

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Es spult sich viel zu episodenhaft oberflächlich und gleichförmig dahin. Man kapituliert schon vor der Länge der Besetzungsliste mit 43 Sängerinnen und Sängern, aus denen Violeta Urmana und Sergei Leiferkus hervorragen: Unbedingt auch der gebrochene, verzweifelte Graf Pierre, dem Arsen Soghomonyan ergreifendes Profil verleiht.

Das ist eine fantastisch geschlossene Ensembleleistung. Großartig auch, wie der stets souverän wie ein Feldmarschall vor seinem Orchester paradierende Vladimir Jurowski dieses ausufernde Klangepos im Griff hat, wie er Lyrik und Intimität in den spröden Liebesszenen sucht, wie er der müde sich drehenden Adelsballgesellschaft Noblesse verleiht.

Und wie er vor allem im zweiten Teil all das Schlachtgetümmel, die Agitationsfetzen, vaterländischen Chöre, Tumulte, Fluchtbewegungen grell und scharf, aber eben nie als anfeuernde Überrumpelungspropaganda dirigiert. Die Musik wird so nicht besser, aber sie ist zur Kenntlichkeit entstellt als Schmiermittel in einem trotzdem dubiosen Werk.

Wie aber will das Dmitri Tcherniakov gleichzeitig erzählen und entlarven? Angesichts der Notwendigkeit, die schlimmsten Stalinismen eben doch streichen oder verfremden zu müssen, um ja nicht einer putintreuen Lesart verdächtig zu werden, aber auch das Stück nicht zu zerstören und bloß lächerlich zu machen. Dafür wäre der stets an der Kippe zum Frivolen balancierende Aufwand viel zu groß.

Diese Gratwanderung ist der Regie nicht gelungen, sie konnte es wohl auch nicht. Er rettet sich einmal mehr in die Verfremdung. So sehen wir den für die Sowjethistorie so bedeutsamen, akribisch kopierten Spielort, an dem einst der Adel feierte. Den aber der Kommunismus sich einverleibte und anverwandelte – durch Feiern, Basare, Konzerte, Schauprozesse und eben die Aufbahrungen der obersten Genossen von Lenin über Stalin bis Breschnew und Gorbatschow – in seinem typischen, gebrochen weißen Klassizismusglanz aus korinthischen Säulen und Riesenlüstern. Die auch, schwarz verpackt im zweiten Teil, dramatisch kriegswetterleuchten können.

Darin hat sich bereits zu Beginn eine – russische? – Flüchtlingsgesellschaft zwischen Feldbetten, Matratzen, Zelten und Theatersesseln leidlich bequem eingerichtet. Man trägt postsozialistischen Mittelstandsschick. Die spielt sich jetzt offenbar zur Unterhaltung die High-Society-Geschichte Tolstois vor. Das Agieren geschieht zunächst wie in Klammern, wird nur angedeutet, distanziert kommentiert. Folgt nach der Pause auf den Frieden der Krieg, wird es deutlich realistischer, mit Waffen, Blutbeuteln und Erschießungen. Da regiert Aggression, Agitation und im Fall des als Franzosen-Popanz vorgeführten Napoleon (Tomás Tomásson) die plumpe Parodie.

Sowjetpopulistisch durchwirkt,, doch durchgefallen: Szene aus „Krieg und Frieden“
Sowjetpopulistisch durchwirkt, doch durchgefallen: Szene aus „Krieg und Frieden“
Quelle: W.Hoesl

Wer aber spielt hier für wen? Und vor allem zu welchem Zweck? Das wird zwischen Väterchen-Frost-Auftritt, viel Marxismus-Folklore und Sowjet-Ritualen, die den langen Abend mit der Zeit einigermaßen gleichförmig öde werden lassen, nie geklärt.

Dieser fast verzweifelt unentschieden und nicht wirklich bewältigbar in sein Gegenteil verdrehte Opernkoloss auf tönernen Füßen, er zeigt stattdessen die Unmöglichkeit wie die Notwendigkeit künstlerischer Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Gegenwart. Die auch im Scheitern zu bewundern ist.

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