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Literatur Brendan Behan zum 100. Geburtstag

Der Mann mit dem Dynamit

Feuilletonredakteur
Brendan Behan (1923-1964) trank sich mit 41 zu Tode Brendan Behan (1923-1964) trank sich mit 41 zu Tode
Brendan Behan (1923-1964) trank sich mit 41 zu Tode
Quelle: opperfoto via Getty Images/Getty Images
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IRA-Kämpfer, Poet und Provokateur: Zum 100. Geburtstag des großen irischen Schriftstellers Brendan Behan, der von Sechzigerjahre-Linken und Punks gleichermaßen geliebt wurde. Als Dichter liebte er auch die schlimmen Wörter. Eines davon sagte er als Erster im Fernsehen.

In einer Literaturwelt, in der neuerdings biografische Erfahrungen als der einzige taugliche Stoff gelten, müsste Brendan Behan theoretisch eine hochgeschätzte Figur sein. Aber er würde die aktuellen biografischen Literaten, die von ihren Beziehungsenttäuschungen, gefühlten Diskriminierungen, Mikroaggressionen und Nanotraumata zehren, vermutlich allzu schmerzhaft empfinden lassen, dass ihr eigener Stoff nur insulare Zwergformen von Erfahrungen sind.

Behan wurde am 9. Februar 1923 in einen Dubliner Slum hinein als Sohn eines verarmten, aber gebildeten Mannes geboren, der die Seinen als Anstreicher durchbrachte. Alle Mitglieder der Familie kämpften seit Generationen für die irische Unabhängigkeit mit dem Wort und der Musik – aber auch mit Waffen und Sprengstoff.

Mit 16 Jahren ließ sich Behan von der IRA nach Liverpool schicken, um dort Anschläge zu verüben. Er wurde verhaftet und zusammengeschlagen, bevor er seine Reisetasche mit Kaliumchlorat, Schwefelsäure, Gelatinedynamit, Sprengkapseln und Zündpatronen aus dem Fenster werfen konnte. Danach verschwand er drei Jahre in einer Besserungsanstalt. Von dieser Zeit handelt sein autofiktionaler Roman „Borstal Boy“, der allein schon ausreichen würde, um eine Feier zum 100. Geburtstag Behans zu rechtfertigen.

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„Borstal Boy“, benannt nach dem Slangwort für solche Institutionen, war eine ganz Zeit lang das einzige auf Deutsch lieferbare Buch Behans. Nicht einmal mehr der Kriminalroman „Der Spanner“ ist noch in einem aktuellen Verlagsprogramm. Nun ist zum Geburtstag immerhin eine Sammlung von Kurzprosa bei Wagenbach dazugekommen: „Frau ohne Rang und Namen“. Es scheint, als müsste Behan wiederentdeckt werden.

Die Zeit seiner größten Resonanz im deutschsprachigen Raum währte von den Sechziger- bis Achtzigerjahren. Ebenso wie Jean Genet, um den es heute auch etwas stiller geworden ist, erfüllte Behan linke Sehnsüchte nach Autoren, die von irgendwo unten kamen. Gemein haben sie auch, dass gerade das, was damals als erfrischend establishmentverstörend und authentisch galt, heute ihre Stücke schwierig macht: Eine Figur wie der Transvestit Princess Grace in Behans „The Hostage“ („Die Geisel“) ist für die sensible Gegenwart mindestens genauso erklärungsbedürftig wie der Titel von Genets Stück „Die Neger“.

Damit sind die Gemeinsamkeiten mit dem schwulen Underdog Genet und dessen symbolträchtigen Stücken aber auch erschöpft. Behan lebte (abgesehen von ein bisschen Teenagerknabenliebe in der Besserungsanstalt) quasi als Klischee eines irischen, proletarischen, heterosexuellen Literaten. Und er starb auch so – nur 41 Jahre alt im März 1964, nachdem er sich mindestens 15 Jahre lang allmählich zu Tode getrunken hatte.

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Schon 1959 meldete der „Spiegel“: „Brendan Behan, 33, irischer Dramatiker, unlängst alkoholisierter Premierengast in Westberlin, unterzog sich in Dublin einer Entwöhnungskur, von der er sich in London durch einen drei Tage währenden Rekordrausch wieder distanzierte. Das Londoner Wyndham-Theater, das gegenwärtig sein Stück ,Die Geisel‘ spielt, setzte ihn vor die Tür, nachdem er die Vorstellung durch einen Tanz auf der Bühne gestört hatte. Seine Freundinnen Priscilla McNamara, 26, und Beverley Walsh, 38, zogen mit dem vergeblich Entwöhnten bereitwilligst durch die West-End-Bars.“

Behans Theaterstücke wurden damals von Größen wie Annemarie und Heinrich Böll übersetzt und von Peter Zadek inszeniert. Die Dramen feiern poetisch und sehr unterhaltsam Verlierer, Knastinsassen, Rebellen und Rotlichtfiguren. Behan konnte dafür reichlich aus eigener Anschauung schöpfen. In Irland sind viele Songs aus diesen Stücken längst ins Volkslied-Repertoire eingegangen.

In den Achtzigern, als die Popkultur zum vorerst letzten Mal mit irischer Kultur flirtete, wurde Behan zu einer Referenzgröße bei Bands wie Dexys Midnight Runners und den Pogues. Die einen feierten ihn auf ihrer ersten Single „Dance Stance“ in einem Atemzug mit den anderen zahlreichen Größen der irischen und irischstämmigen Literatur. Einem unsympathischen und ahnungslosen Idioten wird vorgehalten: „Never heard about Oscar Wilde/ Don’t know about Brendan Behan/ Know anything about Sean O’Casey/ Or care about George Bernard Shaw/ Or Samuel Beckett/ Won’t talk about Eugene O’Neill/ He won’t talk about Edna O’Brien/ Or know anything about Lawrence Sterne.“

Was die Pogues an Behan mochten

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Die anderen sangen „The Auld Triangle“ ein Lied, das Behans Bruder Dominic Behan für Brendans Theaterstück „The Quare Fellow“ („Der Mann von morgen früh“) über die letzte Nacht eines Todeskandidaten komponierte. Behan, der sich in New York zu Tode trank, war sicher auch in vielerlei Hinsicht eine Inspiration für die vom Poques-Sängerpoeten Shane McGowan geschriebene Ballade „Fairytale of New York“, die jedes Jahr zur Weihnachtszeit auch bei uns im Radio läuft, ohne dass die meisten Menschen zur Kenntnis nehmen, dass sich darin ein toxisches Pärchen aus dem Bohèmeprekariat mit Schimpfwörtern überhäuft.

Soul- und Folkrebellen wie Dexys oder die Pogues, die einige Jahre zuvor noch Punks gewesen waren, interessierte Behan aber nicht nur als Literat, sondern auch als bahnbrechender Provokateur: 1956 war er der Erste, der im englischen Fernsehen das Wort „fuck“ sagte. In England, wo das Wort bis heute als viel anstößiger gilt als hierzulande, war das ein epochales Ereignis, das zur Verbannung aus der Kultur- und Medienlandschaft und vielleicht zu juristischer Verfolgung hätte führen können.

Doch Behan entging dem allen aufgrund einer Pointe, wie aus seinen Texten: Obwohl er das F-Wort gleich mehrfach gebrauchte, protestierte niemand. Joe Moran, Autor des Buches „Armchair Nation“ über die Geschichte des englischen Fernsehens erklärt das so: „Vielleicht lag es daran, dass Behans Aussprache so undeutlich war, weil er sich vor dem Auftritt total betrunken hatte. Stattdessen riefen Hunderte Zuschauer an, um sich zu beschweren, dass sie Behans Dubliner Akzent nicht verstehen könnten.“

Wie auch immer: Solche kraftkrawalligen Heldentaten dürften die Wiederentdeckung Behans in einer Zeit, in der überall sensible Gouvernanten über die sprachliche Korrektheit wachen, eher erschweren.

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