Er ist jetzt 42 Jahre alt, schon grauhaarig. Trotzdem ist der Venezolaner Gustavo Dudamel nach wie vor ein heißes Klassikticket im internationalen Betrieb. Nach 17 Jahren (und mit einem vermuteten Jahresgehalt von 2,8 Millionen Dollar) wird er nun das reiche Los Angeles Philharmonic verlassen und ab Herbst 2026 beim etwas klammeren New York Philharmonic als Chefdirigent anheuern.
Überraschend ist das nicht. Denn so wie Amerikas einflussreichste Orchestermanagerin Deborah Borda die Sache Dudamel an der Ostküste möglich gemacht und zum Blühen gebracht hat, so hat sie ihn jetzt – sie hört Ende der Spielzeit in New York auf – an den Hudson gelockt.
Es passt ja auch. 29 Prozent. So hoch ist die Latino-Quote innerhalb der Bevölkerung von New York. Und seit der erfolgreichen 550-Millionen-Dollar-Renovierung seiner Geffen Hall im örtlichen Kulturpantheon Lincoln Center wird vom Orchester das Narrativ vom Hispanics- und Coloured-People-Slum San Juan Hill, der in den Sechzigerjahren den rationalistischen Kunstbauten weichen musste, wieder sehr offensiv bemüht. Wer also fügt sich besser in diese Erzählung als ein Dirigent, der wie kaum ein anderer für Diversity steht?
Allerdings bleichen bei Gustavo Dudamel, inzwischen durch eine zweite Heirat spanischer Staatsbürger, nicht nur die Haare aus. Auch sein Ruf als Dirigent verblasst. Doch solange die Kasse klingelt und die Aufmerksamkeit da ist, schert das den doch recht gewissenlosen Klassikbetrieb wenig.
Er wird benutzt
Siehe Anna Netrebko, die manche Opernhäuser, ohne mit der Wimper zu zucken, weiter beschäftigen, als sei nichts geschehen. In Paris zum Beispiel ist sie jüngst aufgetreten. Dort ist Dudamel seit zwei Spielzeiten Opernmusikchef – ohne auffällige Folgen. Aber auch dort gilt: Er ist immer noch einigermaßen jung, er ist ein Star, er steht für die in Paris ebenfalls benötigte Vielfalt.
Das langt. Konzept ist wichtig, Können zweitrangig. Mit Dudamel schmücken sich regelmäßig die Wiener wie die Berliner Philharmoniker, ohne dass in seinen Konzerten mehr als energetischer Mahler, feuriger Beethoven und natürlich viel rhythmusbetont Südamerikanisches zu hören ist.
Dudamel wird benutzt. Er sitzt als Stellvertreter des so schick gewordenen globalen Südens in einem goldenen Käfig. Was fast schon wieder etwas Rassistisches an sich hat.
Währenddessen ist im kaputten Venezuela das Musikerziehungsprojekt El Sistema, dem auch Dudamel als Gallionsfigur entstammt, vor die Hunde gegangen. Er selbst hat sich – ähnlich wie Netrebko – zu spät und zu lahm von den Machthabern losgesagt, was ihm auf beiden Seiten übel ausgelegt wurde.
Das Simon-Bolivar-Jugendorchester, vor einigen Jahre noch Lieblingskind sämtlicher Festivals, ist international verstummt. Keinen der damals einladenden Intendanten kümmert es.
Hauptsache, es lassen sich mit Dudamel weiter Geschäfte machen, das Image ist poliert. Bei den New Yorkern wird er jedenfalls einmal mehr als neuer Leonard Bernstein gehandelt, ihr ewiges Orchesteridol. Auch Bernstein war einst im Streit geschieden. Nicht als Erster und als Letzter.