Itta Shedletzky ist tot:Fäden spinnen

Itta Shedletzky ist tot: Sie studierte die deutsch-jüdische Kulturgeschichte: Itta Shedletzky (1943 - 2023).

Sie studierte die deutsch-jüdische Kulturgeschichte: Itta Shedletzky (1943 - 2023).

(Foto: Michael Kühntopf/Wikimedia Commons)

Itta Shedletzky forschte zu deutsch-Jüdischer Literatur und sah im Gespräch die einzige Möglichkeit, den Abgrund der Shoah für Augenblicke zu überwinden. Jetzt ist sie gestorben.

Von Thomas Meyer

Anfang der neunziger Jahre begann in Deutschland ein Manuskript zu zirkulieren, das unter dem sperrigen Titel "Literaturdiskussion und Belletristik in den jüdischen Zeitschriften in Deutschland 1837-1918" für angeregte Diskussionen sorgte. Die Autorin Itta Shedletzky hob darin eine Welt ans Licht, die zuvor hinter den großen Namen und ihren Büchern unerkannt geblieben war. Erstmals machte sie die Breite und Tiefe der Emanzipationsdiskurse sichtbar, die seit 1837 mit der Gründung der Allgemeinen Zeitung des Judenthums entstanden.

Die 1943 in Zürich geborene und seit 1962 in Israel lebende Shedletzky hatte zu diesem Zeitpunkt mit einer Vielzahl von Aufsätzen und Sammelbänden zur deutsch-jüdischen Literatur auf sich aufmerksam gemacht. Ausgebildet bei Israels bedeutendstem Historiker Jacob Katz, kam sie früh in Kontakt mit der entscheidenden Figur der sogenannten "deutsch-jüdischen Symbiose": Gershom Scholem. Der Kabbala- und Mystikforscher regte Shedletzky zu der Arbeit an und begleitete sie bis zu seinem Tod 1982.

So war es nur folgerichtig, dass Shedletzky seine treueste Botschafterin wurde. Im Münchner C.H. Beck Verlag brachte sie eine dreibändige Briefausgabe und die Korrespondenz Scholems mit seiner Mutter heraus und schuf damit die Grundlage für die biografische Beschäftigung mit ihm. Shedletzky tat das nicht alleine. Nahezu alle ihre Arbeiten waren Kooperationen. Sei es bei der großen kritischen Gesamtausgabe der Werke Else Lasker-Schülers, ihren Studien zu Heinrich Heine oder zu Theodor Fontane und dessen Freund Wilhelm Wolfsohn, zuletzt als Gutachterin im Prozess um die Kafka-Manuskripte, die bei den Erbinnen von Max Brod aufbewahrt wurden. Bei alldem entstanden Freundschaften, die über Jahrzehnte hielten und die sie mit mehreren Generationen deutscher Wissenschaftler zusammenarbeiten ließ. Gastprofessuren in Gießen, Berlin, München und Augsburg waren ein äußeres Zeichen tiefer Verbundenheiten.

Nicht zuletzt die israelische Germanistik hatte in Itta Shedletzky eine engagierte Begleiterin: Sei es an der Fakultät in Jerusalem, an deren Gründung sie beteiligt war, sei es am dortigen Franz-Rosenzweig-Zentrum.

Zu den zahlreichen Freudinnen Itta Shedletzkys zählte Anna Maria Jokl. Die Schriftstellerin, deren Buch "Die Perlmutterfarbe" 2008 von Marcus H. Rosenmüller verfilmt wurde, vertraute ihre Papiere Shedletzky an und beauftragte sie mit der Pflege ihrer Schriften.

Ihr erster Besuch in Deutschland führte sie in den Siebzigern zusammen mit ihrem Mann, dem Musikjournalisten Moshe Shedletzky, nach Bayern, um im Nachlass von Richard Strauss zu forschen. Beide hatten ein ambivalentes Verhältnis zu Deutschland, sahen aber im Gespräch die einzige Möglichkeit, den Abgrund der Shoah für Augenblicke zu überwinden. Bis zuletzt warb sie darum, die gesponnenen Fäden nicht abreißen zu lassen.

Am Freitagabend starb Itta Shedletzky plötzlich und völlig unerwartet mitten im Gespräch mit Freundinnen, wenige Tage vor ihrem 80. Geburtstag. Zwei Konferenzen sollten ihr Werk würdigen. Jetzt, da sie fehlt, wird man sie missen.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusNachruf auf Jürgen Flimm
:Auf allen Bühnen zu Hause

Viel wirbeliger als Jürgen Flimm ging fast nicht: Richard Strauss in New York, in Bayreuth der "Ring" und in Zürich Händel. Mit ihm geht der erfolgreichste Theatermacher der letzten fünfzig Jahre. Ein Nachruf.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: