Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Kultur
  3. Salomon „Sally“ Perel †: Hitlerjunge Salomon – Eine Biografie so unwahrscheinlich, dass sie wahr sein musste

Kultur Salomon „Sally“ Perel †

Hitlerjunge Salomon – Eine Biografie so unwahrscheinlich, dass sie wahr sein musste

Salomon „Sally“ Perel, NS-Überlebender Salomon „Sally“ Perel, NS-Überlebender
Salomon "Sally" Perel, NS-Überlebender
Quelle: dpa
Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.
Der Jugendliche Salomon Perel geriet 1941 in deutsche Gefangenschaft. Er gab sich als katholischer „Volksdeutscher“ aus und man glaubte ihm. Als Hitlerjunge und Musterschüler überlebte er den Holocaust. Jetzt ist er im Alter von 97 Jahren gestorben.

Jeder Drehbuchautor, der einem Filmproduzenten diesen Plot vorgeschlagen hätte, wäre wohl hochkant hinausgeworfen worden: Jüdischer Jugendlicher gerät fünf Jahre nach der Flucht seiner Familie aus dem Dritten Reich im Sommer 1941 auf sowjetischem Boden in deutsche Gefangenschaft. Er gibt sich als katholischer „Volksdeutscher“ aus, wird Dolmetscher einer Wehrmachtseinheit und als jüngstes Mitglied der Kompanie zu einer Art Maskottchen.

Doch es wird noch wilder: Sein Kompaniechef will ihn adoptieren und schickt ihn nach Deutschland, wo er eine Eliteschule der Hitlerjugend besucht und sogar als Musterbeispiel für einen typischen ostbaltischen Volksdeutschen gilt. Ein Offizier der Waffen-SS wird sein Vormund. Im April 1945 gerät der inzwischen 20-Jährige, der aber jünger aussieht, in US-Gefangenschaft und offenbart seine jüdische Identität, wandert schließlich ein paar Jahre später nach Israel aus.

Diese Biografie ist so unglaubwürdig, dass sie nur schlecht erfunden sein kann – oder wahr. Im Falle von Salomon „Solly“ oder „Sally“ Perel traf letzteres zu. Geboren wurde er am 21. April 1925 im niedersächsischen Peine, gestorben ist er am 2. Februar 2023, zweieinhalb Monate vor seinem 98. Geburtstag, in seiner Wahlheimat im Kreise seiner Familie.

Erzählt hat Solly seine Lebensgeschichte erst mehr als vier Jahrzehnte nach dem Krieg. Nach einer lebensbedrohlichen Operation entschloss er sich, ein Buch zu schreiben. Es erschien zuerst 1990 auf Französisch, zwei Jahre später unter dem Titel „Ich war Hitlerjunge Salomon“ auf Deutsch. Parallel war bereits ein Spielfilm von Produzent Arthur Brauner und Regisseurin Agnieszka Holland Ende 1990 in die französischen und ein Jahr später in die deutschen Kinos gekommen.

Anfangs gab es durchaus Zweifel an der Geschichte, doch eine Fülle von Dokumenten und Fotos belegten, dass sie trotz aller Unwahrscheinlichkeit zutraf. Solly, geboren in Peine als jüngster Sohn zugewanderter jüdischer Polen, litt ab 1933 wie seine Eltern und älteren Geschwister unter antisemitischen Übergriffen. Die Familie entschloss sich, nach Lodz zurückzukehren, von wo aus sie nach Deutschland ausgewandert waren. Doch 1939, Solly war inzwischen 14 Jahre alt und gerade mit der Volksschule fertig, eroberte die Wehrmacht den Westen Polens und auch Lodz.

Eine Szene aus „Hitlerjunge Salomon“ unter der Regie von Agnieszka Holland
Eine Szene aus „Hitlerjunge Salomon“ unter der Regie von Agnieszka Holland
Quelle: picture alliance/United Archives

Im Frühjahr 1940 beschlossen Sollys Eltern, dass sie zu alt seien für eine weitere Flucht, drängten ihre Söhne jedoch, in den nun von der Sowjetunion besetzten Teil Polens zu gehen. Solly schaffte es und kam in einem Haus der sowjetischen Jugendorganisation Komsomol unter – er sah deutlich jünger aus als er war.

Kurz vor Sonnenaufgang am 22. Juni 1941 betrat ein Lehrer den Schlafsaal der Unterkunft und befahl allen jüdischen Kindern, ihre Sachen zu packen. Die Wehrmacht hatte die Sowjetunion angegriffen und marschierte schnell vorwärts. Der Lehrer hoffte, die jüdischen Komsomolzen nach Osten ins Innere der Sowjetunion bringen zu können. Doch Solly verlor den Anschluss zur Gruppe und geriet mit anderen Flüchtlingen auf dem Weg nach Minsk in deutsche Hand.

Mindestens einmal verriet er sich

Alle mussten sich aufstellen, dann begann eine „Selektion“, wie sie damals üblich war: Juden und Kommunisten mussten heraustreten und wurden abgeführt. Solly stand zufällig am Ende der Schlange und hatte so, während er warten musste, genügend Zeit, zu vernichten, was ihn als Jude oder Komsomol-Mitglied erkennbar machte.

Als er an der Reihe war, behauptete Solly, er sei ein Volksdeutscher namens Josef Perjell, der während der Kämpfe seine Ausweispapiere verloren habe. Das stellte niemand infrage. Da er neben Deutsch auch Polnisch und Russisch flüssig sprach, schloss er sich einer Kompanie der 12. Panzerdivision an, für die er vor allem Gespräche mit gefangenen Rotarmisten führte.

Anzeige

Die Soldaten gaben ihm den Spitznamen „Jupp“, den er für den Rest des Krieges behielt. Ein Kamerad allerdings sah Solly beim Baden zu und sagte ihm auf den Kopf zu, Jude zu sein – doch er fiel wenig später, ohne ihn verraten zu haben.

Lesen Sie auch

1942 musste Solly die Division verlassen, weil er noch minderjährig war. Er kam nach Deutschland, und zwar auf die Reichsakademie für Jugendführung der Hitlerjugend in Braunschweig, 25 Kilometer südöstlich seiner Heimatstadt Peine. Hier wurde der Führungsnachwuchs der NS-Jugendorganisation ausgebildet – und hier wurde Solly Perel der „Hitlerjunge Salomon“.

Er blieb dort bis April 1945 und nahm an Kursen über die NS-„Weltanschauung“ teil. Außerdem arbeitete er als Werkzeugmacher im „Volkswagen-Vorwerk“, wie es auf seinem „Stammblatt“ heißt, und half beim Unterricht für jüngere HJ-Mitglieder. Im Fach Rassenkunde erklärte der Lehrer ausgerechnet an Solly die vermeintlichen äußeren Merkmale eines „typisch ostbaltischen Volksdeutschen“.

Mindestens einmal verriet sich Solly, doch das Mitgefühl einer älteren Frau rettete ihn. Einmal reiste er sogar nach Lodz, das nun „Litzmannstadt“ hieß, um im Getto nach seinen Eltern zu suchen, hatte aber keinen Erfolg.

Das Schicksal seiner Familie

Um nicht negativ aufzufallen, wurde er ein Musterschüler. Doch es blieb gefährlich: Im Sommer 1944 forderte ihn die Polizei auf, einen Abstammungsnachweis beizubringen. Kurze Zeit darauf brannte das zuständige Polizeirevier bei einem Bombenangriff aus.

Als im Frühjahr 1945 US-Truppen sich Braunschweig näherten, sollten die Hitlerjungen ein „letztes Aufgebot“ bilden. Solly hatte wieder Glück: Ohne kämpfen zu müssen, geriet er an seinem 20. Geburtstag, dem 21. April 1945, in US-Gefangenschaft. Er offenbarte sich und konnte den zuständigen Offizier überzeugen, kam also nicht in ein Sammellager für Soldaten, sondern in eine Unterkunft für „Displaced Persons“. Hier erfuhr er vom Schicksal seiner Familie: Seine Eltern und seine Schwester starben im Holocaust, seine beiden älteren Brüder überlebten und wanderten wie er nach Israel aus.

Nach Erscheinen seines Buches auch auf Deutsch 1992 begann Solly Perel, als Zeitzeuge vor allem Schülern seine Lebensgeschichte zu erzählen. Drei Schulen in Niedersachsen tragen seinen Namen.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema