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Kultur So wird der „Tatort“

Machen wir doch Frieden mit unserem Untergrund

Redakteur Feuilleton
Jörg Hartmann war diesmal Faber und Drehbuchautor Jörg Hartmann war diesmal Faber und Drehbuchautor
Jörg Hartmann war diesmal Faber und Drehbuchautor
Quelle: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Thomas Kost
„Du bleibst hier“ heißt der erste Dortmunder „Tatort“ nach dem Tod von Kommissarin Bönisch. Er ist Trauerarbeit und Traumabewältigung, Familienaufstellung und Hommage an ein von Gentrifizierung bedrohten Kiez. Vor allem ist es die Geschichte der Erweckung eines verwilderten Charakters.

Eigentlich war ja der „Tatort“ mal gedacht als Feier des Föderalismus. Als bundesweites Aufklärungsmodell über die lokalen Abgründe des immer noch ziemlich neuen Deutschland. Mit Geschichten, die idealerweise entwickelt werden sollten aus den Untergründen, gekratzt werden von den Oberflächen der Städte und der Regionen, in denen sie spielen.

Geschichten, die etwas von der Mentalität spiegeln und von der jeweils gegenwärtigen Verfasstheit. Die – ein bisschen ex negativo sozusagen – Niedersachsen erklären sollten und Rheinland-Pfalz. Und irgendwann irgendwie ein gesellschaftliches Gesamtpanorama hätte abgeben können Im Lauf der Jahre hätte so eine Art Deutsches Historisches Verbrechens- und Verkommenheitsmuseum.

Das mit der Entwicklung von Geschichten aus den Orten und Regionen, hat allerdings selten und zuletzt zunehmend eher weniger geklappt. Gegenwärtig allerdings scheint sich das zu ändern. Zeichnet sich lind eine Regionalisierung am Horizont ab.

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So entzauberten die Kommissare Ballauf und Schenk an Neujahr den Kölner Mythos vom Veedel. Von dem, was anderswo Kiez heißt und für alles steht, was Orte lebenswert macht. Kuhwärme, Achtsamkeit, Fürsorge, Nachbarschaft.

Für ein aus allen Poren nostalgisch leuchtendes Lebensmodell, das von Kümmerern bewohnt wird und vom Kümmern geprägt ist, von Menschlichkeit, von christlichen Tugenden. Ein urbanes Lebenskonzept, an dem alle Kräfte des gegenwärtigen Gesellschaftsumbaus derart zerren, dass es in Fetzen hängt. Und genau die Gewalt entstehen lässt, die es eigentlich verhindern soll.

Der Kiez, in dem die Re-Lokalisierung des „Tatort“ weiter geht, heißt Kreuzviertel. Liegt mitten in Dortmund. Schicke Häuser aus der Gründerzeit gibt es. Man wohnt da gern. Man kommt da gern des Abends hin. Vielleicht genau weil das so ist, klopft die soziale Abrissbirne der Gentrifizierung brachial an die Türen seiner Bewohner. Die seit Jahrzehnten hier wohnen. Die schon zur Eröffnung der Kneipen da saßen. Und des Friseursalons Engel zum Beispiel.

Herz des Kreuzviertels: der Salon von Martin Engel (Andreas Schröders)
Herz des Kreuzviertels: der Salon von Martin Engel (Andreas Schröders)
Quelle: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Thomas Kost

Den gibt es natürlich nur in „Du bleibst hier“, dem neuen Dortmunder „Tatort“. Aber einen Friseursalon dieses Typs, den gibt es im Kreuzviertel garantiert. Die Zeit ist da stehen geblieben. Ein Rest vom Bergarbeiterstolz hängt da noch in der dicken Luft. Das Licht bricht sich in einer Ahnung von Kohlestaub.

Die Tapeten von früher kleben noch an den Wänden. Und in den Stühlen sitzen bei Kaffee und Kuchen noch die Frauen herum, die sich hier schon in den Siebzigern Locken in ihre Haare haben drehen lassen.

Der Kommissar Faber kommt von da. Sein Vater lebt da noch. Was der eine verdrängt und der andere gerade vergisst. „Du bleibst hier“ ist im Kern ein großartiges Klagelied vom Verlust. Und eines über den Untergrund.

Die Trauer in der Seele

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Fangen wir mit dem Verlust mal an. Als es losgeht, lebt Faber im Wald, zugezauselt hat er sich, hat sich eingenistet in seinen Manta und in seine Trauer. Wieder hat er eine Frau verloren – die Mutter (das erfahren wir erst jetzt), die Frau (das war das Trauma, das er bis voriges Jahr mit sich rumschleppte) –, jetzt ist Bönisch in seinen Armen gestorben. Im letzten Fall war das. Da hatten er und sie sich gerade ihre Liebe gestanden. „Du bleibst hier“ hatte sie noch gesagt.

Jetzt rennt der ehemals größte Soziopath des „Tatort“-Wesens durchs Gehölz, zieht sich nackend aus und springt von einer riesighohen Mauer in einen stauseegroßen Wasserspeicher. Der Himmel ist blau. Faber ist wieder da.

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Das ist der eine Verlust. Die Geschichte hätte man auch in Herdecke oder auf Schalke erzählen können. Die vom zweiten Verlust, die ging nur im Kreuzviertel. Dem droht der Kulturverlust. Das kauft ein Immobilienmensch auf, macht es schick und entsorgt seine Seele.

Und damit sind wir auch beim Untergrund. Da gibt es nicht nur Abwasserkanäle unterm Westpark, unter den Straßen, den schicken Häusern und den Kirchen. Da gibt es ganze Gangsysteme. Der Immobilienmensch könnte dahin verschwunden sein.

Eine große Lache Blut findet sich am Westpark. Irgendwo hört die Blutspur auf. Der Immobilienmensch ist verschwunden. Mit einiger Sicherheit tot wie der jugendliche Drogendealer, der ein halbes Jahr vorher verschwand. Könnte ein Rächer der Enterbten unterwegs sein im Kreuzviertel.

Passen aufeinander auf: Peter (Jörg Hartmann, l.) bei seinem Vater Josef Faber (Wolfgang Rüter)
Passen aufeinander auf: Peter (Jörg Hartmann, l.) bei seinem Vater Josef Faber (Wolfgang Rüter)
Quelle: WDR/Bavaria Fiction GmbH/Thomas Kost

Aber auch dieser Untergrund ist im Fall, den sich Jörg Hartmann, der Mann, der Faber ist, selbst auf den Leib schrieb, natürlich ein doppelter, dreifacher, eigentlich vierfacher. Jeder der Kommissare trägt seit einiger Zeit einen in sich, mit sich herum.

Pawlak (Rick Okon) das Geheimnis der drogenkranken Mutter seines Kindes, Rosa Herzog (Stefanie Reinsperger) die Beziehung zu ihrer untertauchten Mutter, die Mitglied der dritten RAF-Generation ist (was verdächtig nach Ideenklau bei den Kriminalromanen von Horst Eckert riecht).

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Diese Plotkavernen müssen wegen der horizontalen Dortmunder Erzählstruktur, die Jürgen Werner erfunden hat, regelmäßig unter den eigentlichen Erzählungen weitergegraben werden. Was in diesem Fall allerdings einigermaßen überflüssig ist und wie mit der Spitzhacke in die Geschichte gehauen wirkt. Und ablenkt von dem, was eigentlich geschieht.

Wenn der Vater mit dem Sohne

Zwischen Pawlak, Herzog und Faber, die alle Trauer tragen, sie in ihren eigenen Ab- und Seitenwegen dieser Ermittlung zu bewältigen versuchen und gerade dadurch als Team geradezu auf Anfang gestellt werden. Zwischen den Zeiten, die sich reiben im Kreuzviertel, der gierigen Gegenwart und der sich unter Firnis verlierdenden Vergangenheit, und die ein liebenswertes Monster gebären.

Zwischen Faber und seinem Vater Jupp vor allem, dem Mann, der schon lange die Gewalt über seine Vergangenheit verloren hat und jetzt sein Gedächtnis verliert – wie sich die beiden Kollerköppe durch Abraum der Jahre und des Schweigens allmählich aufeinander zu graben, mit gar nicht vielen Worten, aber vielen Gesten und Blicken. Das fasst einen an. Das bleibt (vor allem Wolfgang Rüters in sich selbst herummäandrierender, verzweifelnd lustiger Jupp).

Und so könnte es weitergehen, nachdem die horizontale Dortmunder Erzählung sämtliche Fesseln, die sie zum Schluss fast stranguliert hätte, losgeworden ist – Fabers Erzfeind ist nicht mehr, die ewig sich auf- und abbauende Liebe zu Bönisch ist halbwegs heil begraben, die Traumata beruhigt – er wird so schnell keine Waschbecken mehr aus der Wand reißen.

Faber, vom soziopathischen Saulus zum empathischen Paulus. So hätte der immer noch unbegreifliche Abschied von Anna Schudts Bönisch doch noch etwas Gutes.

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