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Kultur Architekt Ole Scheeren

Warum hoch und groß gebaut werden muss

Architekt Ole Scheeren Architekt Ole Scheeren
Ole Scheeren im Karlsruher ZKM
Quelle: Felix Gruenschloss
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Ole Scheeren gilt in Asien als Star, in Deutschland kann der Architekt nicht so richtig Fuß fassen. Hier liegt nachhaltiges Bauen im Trend. Sind spektakuläre Gebäuderiesen da nicht mehr zeitgemäß?

Architektur ist immer politisch, das ist inzwischen bekannt. Daher fordert man auch von Ausstellungen über die Architektur, deren gesellschaftliche Wirkungen kritisch zu hinterfragen. Am besten schon im Ausstellungsdesign.

Die Schau „Ole Scheeren: Spaces of Life“, die jetzt im Karlsruher ZKM eröffnete, tut dies ganz explizit: Im Zentrum des riesigen Raumes in der ehemaligen Munitionsfabrik befindet sich der „media dump“, eine Art multimediales Folter-Rondell, auf dessen brutal eng nebeneinander gehängten Bildschirmen Scheerens Architektur verhandelt wird.

Man sitzt in der Mitte und wird von allen Seiten beballert von Social Media-Posts, Mikro-Statements, zahllosen Individualkritiken, mit denen das Werk von Ole Scheeren medial thematisiert wird. Dazwischen flimmert auch mal ein stylisches Foto vom natürlich sehr gut aussehenden Architekten selbst, das aber sofort wieder verschwindet, weggespült vom nie versiegenden Strom neuer Bilder und Statements.

Schwimmendes Kino: „Archipelago Cinema“ von Ole Scheeren
Schwimmendes Kino: „Archipelago Cinema“ von Ole Scheeren
Quelle: Piyatat Hemmatat

Bauen als hypermediales Spektakel, das wenig Raum für ruhige Reflexion setzt – ein treffendes Statement zur Rolle von Architektur in Zeiten der sozialen Medien. Und eines, das die Kritik, der sich ein primär in Asien bauender Architekturstar wie Scheeren speziell im deutschen Architekturdiskurs ausgesetzt sieht, quasi selbstreflexiv vorwegnimmt und damit neutralisiert.

Das Werk des gebürtigen Karlsruhers ist faszinierend, wird aber auch ambivalent gesehen. In Europa und speziell in Deutschland konnte er bisher nicht recht Fuß fassen. Aber weltweit realisiert Scheeren viel beachtete Hochhäuser, von Bangkok und Singapur über Peking und Vancouver.

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Seine gebauten Riesen denken weiter, was ein Hochhaus sein kann; sie hinterfragen die modernistische Grundannahme vom Hochbau als isoliertem urbanem Monolith und schaffen Verbindungen, nehmen die Bezüge des städtischen Raumes auf und schreiben sie im Gebäude weiter. Aber sie sind eben auch – nun ja, Hochhäuser.

Sie sind groß. Sie verwenden viel Baumasse. Und sie sind häufig eben Singulärbauten. Das wirkt für manche problematisch in einer Zeit, in der es (Stichwort Nachhaltigkeitsdebatte) als fortschrittlich gilt zu fragen, ob man denn überhaupt noch bauen dürfe.

Hochhausentwurf „Empire City“, © Buro-OS
Hochhausentwurf „Empire City“, © Buro-OS
Quelle: Iwan Baan

Die Antwort, die Ole Scheeren in Karlsruhe unzweideutig gibt, ist: Man darf nicht nur. Man muss sogar. Die Menschen wollen räumlich gefasste Geschichten, wollen das Weiterdenken der Räume, in denen sie leben, durch selbstbewusste architektonische Interventionen.

Leben im Turm

Das Große ist dabei nicht notwendig hierarchisch. Es kann auch dazu dienen, neue Gemeinschaften zu stiften. Die Konstrukteure der Großstrukturen der 1970er-Jahre wussten das. Im Werk Ole Scheerens schlägt sich dieser Gedanke regelmäßig nieder, etwa im „King Power Mahanakhon Tower“ in Bangkok. Das scheinbar aufgebrochene Projekt nimmt die Strukturen der umgebenen Stadt auf und schreibt sie ins Vertikale weiter.

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Auf spektakulären 314 Metern Höhe wird die gelernt neutrale Hülle des Prinzips Wolkenkratzer aufgelöst und ein Stück menschlicher Maßstab in einer dreidimensionalen Pixelspirale sichtbar gemacht. Auf der Dachterrasse können Besucher in die Stadt zurückblicken und die Bezüge der Architektur im Stadtraum aus weiter Ferne betrachten, genauso wie die Menschen auf der Straße aus der Distanz Einblicke bekommen in das Leben im Turm.

Wobei natürlich gesagt werden muss: Sehen ist nicht gleich leben. Scheerens Großbauten verhandeln das Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit, sind aber keine basisdemokratischen Erzeugnisse. Es sind keine Sozialbauten, keine Architekturen für die Massen. Was sie aber tun: Sie entwickeln Vorlagen dafür, wie die Architektur soziale Räume schaffen kann.

Zum Beispiel im Megaprojekt „Interlace“, das Scheeren noch in Kooperation mit seinem früheren Arbeitgeber Rem Koolhaas realisierte. Auf insgesamt 170.000 Quadratmetern stellt dieses ein vielfach gestapeltes vertikales Dorf mit Wohn- und Gemeinschaftsflächen dar, das viele sehr verschiedene Sozialräume schafft und vor allem auch die umgebende üppige Vegetation und Natur in die extrem dichte Megastruktur hineinzieht.

„The Interlace“-Wohnkomplex in Singapur
„The Interlace“-Wohnkomplex in Singapur von Ole Scheeren und OMA
Quelle: Iwan Baan
„The Interlace“ aus Drohnenperspektive
„The Interlace“ aus Drohnenperspektive
Quelle: Iwan Baan

Ein bauliches Statement, das nach neuen Wegen sucht, in den rasant wachsenden asiatischen Metropolen Dichte und Aufenthaltsqualität miteinander zu verbinden. Vielleicht kein „Prototyp für das Leben von morgen“, wie es im Begleitmaterial der Ausstellung etwas pompös heißt. Aber doch ein spannendes Statement zur Frage, was solche Prototypen leisten müssen und wie sie Gemeinschaft stiften können.

Denn das vergisst man gern beim allzu abstrakten Blick auf bauliche Großstrukturen: dass diese, sinnvoll konzipiert, Menschen zusammenbringen können. Das macht die sinnlich-emotionale Komponente von Architektur aus. Im sehr rationalen und oft etwas zerknirschten deutschen Architekturdiskurs wird das gern mal vergessen.

Architektur darf Spaß machen

Ein Plädoyer dafür stellt die Ausstellung in Karlsruhe dar. Mit riesigen Modellen der ikonischen Gebäude Scheerens. Mit Augmented-Reality-Erweiterungen, die zwar wie immer etwas holprig zu bedienen sind, aber eben doch auf reizvolle Art nachvollziehbar machen, wie sich Menschen durch die Gebäude bewegen, sich diese aneignen.

Und auch durch die vielen liebevollen Zeichnungen, die zeigen, wie Scheerens bauliche Giganten rund um den Globus Menschen in immer neuen Konstellationen zusammenbringen. Architektur erzählt eben Geschichten. Das weiß auch der Schriftsteller und GenX-Vordenker Douglas Coupland, der in Karlsruhe mit fiktiven Briefen von Gebäude-Nutzern präsent ist.

„CCTV“ in Peking
Rem Koolhaas und Ole Scheeren bauten „CCTV“ für den chinesischen Staatssender
Quelle: Iwan Baan
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Literaten, die sich von Großbauten inspirieren lassen, Soziologen, die über Architektur zu neuen Interpretationen von Gesellschaft gelangen – die Freude an der disziplinbezogenen Grenzüberschreitung wird in Karlsruhe gefeiert. Nicht umsonst war es der Medienphilosoph und langjährige ZKM-Chef Peter Weibel, der die Schau gemeinsam mit Scheeren konzipierte und kuratierte.

Den Höhepunkt hatte die Freude an diesem erweiterten Blick auf Architektur vor zehn bis 20 Jahren, als Rem Koolhaas kulturwissenschaftliche Uni-Seminare inspirierte und Peter Sloterdijk auf Architektenverbands-Tagen referierte. Im Zuge der Klimadebatten (wie gesagt, dürfen wir überhaupt noch bauen?) ist diese Begeisterung etwas versiegt.

Der Karlsruher Schau und dem sie begleitenden diversen Denker-Statements haftet daher etwas leicht Nostalgisches an. Was, wenn Architektur und das Nachdenken darüber noch mal so richtig Spaß machen könnte? Das fragt Ole Scheeren mit seiner Ausstellung. Und das ist, allen Härten und Zwängen der Jetztzeit zum Trotz, eine berechtigte, eine gute Frage.

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